Leseprobe aus dem Buch: Timothy Keller: Warum Gott?: Vernünftiger Glaube oder Irrlicht der Menschheit?, Gießen: Brunnen Verlag, 2010, 336 S., 19,95 Euro.
Damit es zu organischem Leben kommen kann, müssen die fundamentalen
Gesetzmäßigkeiten und Konstanten der Physik – z. B. die
Lichtgeschwindigkeit, die Schwerkraft, die starke und die schwache
Kernkraft – sämtlich Werte haben, die innerhalb extrem enger Toleranzgrenzen
liegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die perfekte „Einstellung“
dieser Werte ein Produkt des Zufalls ist, ist so winzig, dass
man sie statistisch vernachlässigen kann.191 Wieder formuliert Collins
es treffend:
Wenn man sich das Universum aus der Perspektive des Wissenschaftlers
anschaut, macht es den Eindruck, als ob es wusste, dass wir kommen
würden. Es gibt 15 Konstanten – die Schwerkraftkonstante, diverse
Konstanten der starken und schwachen nuklearen Kraft etc. –,
die präzise Werte haben. Wenn auch nur eine dieser Konstanten
auch nur um ein Millionstel (in manchen Fällen um ein Millionstel
Millionstel) von diesem Wert abweichen würde, hätte das Universum
nicht den Punkt erreicht, an dem wir heute stehen. Die Materie
hätte sich nicht verdichten können, es gäbe keine Galaxien, Sterne,
Planeten oder Menschen.192
Manche Forscher sagen, dass es gerade so sei, als ob ein Ingenieur
eine hoch komplizierte Maschine bei allen möglichen Messwerten
auf extrem enge Toleranzen einstellen müsse. Es ist höchst unwahrscheinlich,
dass dies durch Zufall geschehen sein kann. Stephen
Hawking kommentiert: „Die Wetten gegen ein Universum wie das
unsere, das aus etwas wie dem Urknall entsteht, stehen haushoch gegen
uns. Ich denke, es gibt eindeutig religiöse Implikationen.“ Und
an anderer Stelle schreibt er: „Es wäre schwierig zu erklären, warum
das Universum gerade so begonnen haben sollte, wenn es nicht ein
Akt eines Gottes gewesen wäre, der Geschöpfe wie uns schaffen wollte.“
Man hat dieses Argument, dass das Universum sozusagen planmäßig
für das Auftreten von uns Menschen vorbereitet war, das
„Fine-Tuning-Argument“ oder das „anthropische Prinzip“ genannt.
Es scheint ein recht starkes Argument zu sein, denn es wird in der Literatur
heftig angegriffen. Der häufigste Einwand, den auch Richard
Dawkins in seinem Buch Der Gotteswahn
bringt, lautet, dass es doch Billionen von
Universen geben kann. Gehen wir nun von
dieser unvorstellbaren Anzahl von Universen
und einer unvorstellbaren Menge von Zeit
und Raum aus, dann ist es nahezu unausweichlich,
dass sich hier und da eines findet,
das genau die für das Entstehen von Leben
notwendigen Bedingungen bietet; wir leben
halt in einem solchen, und was soll daran Besonders
sein?
Wieder gilt: Sieht man es als Gottesbeweis, ist das Fine-Tuning-
Argument rational nicht zwingend. Es gibt zwar keinerlei Beweise
dafür, dass es außer unserem Universum noch viele andere gibt, aber
das Gegenteil lässt sich auch nicht beweisen.
Aber als Fingerzeig auf Gott ist es ein starkes Indiz. Alvin Plantinga
gibt das folgende Beispiel: Er stellt sich vor, wie jemand in ein und
derselben Partie Poker zwanzig Mal hintereinander zu Spielbeginn
vier Asse auf der Hand hat. Als seine Mitspieler ihre Revolver ziehen
wollen, sagt der Pokerspieler: „Langsam, Jungs! Ich weiß, das hier
sieht verdächtig aus. Aber was wäre, wenn es eine unendliche Zahl
von Universen gibt, und zwar so, dass jedes für eine mögliche Abfolge
von Kartenblättern steht? Wir befinden uns halt in einer Welt,
wo ich mir jedes Mal vier Asse austeile, ohne zu schummeln.“195 Die
Mitspieler werden nicht überzeugt sein. Rein theoretisch ist es zwar
möglich, dass der Mann gerade zwanzig Mal hintereinander vier Asse
gezogen hat. Wenn man ihm auch nicht nachweisen kann, dass er
geschummelt hat – kein vernünftiger Mensch würde etwas anderes
annehmen.
Der Philosoph John Leslie präsentiert ein ähnliches Beispiel. Er
stellt sich einen Mann vor, der zum Tod durch Erschießen verurteilt
worden ist.196 Das Exekutionskommando besteht aus 50 Scharf –
schützen, die ganze zwei Meter von dem Verurteilten entfernt stehen.
Keiner trifft ihn. Unmöglich ist es nicht, dass selbst ein Scharfschütze
aus dieser Entfernung danebenschießt, und wenn es bei einem möglich
ist, ist es theoretisch bei allen möglich. Wieder lässt sich nicht
schlüssig beweisen, dass sie die Absprache getroffen haben, danebenzuschießen,
aber es wäre nicht vernünftig, nicht von einer solchen
Absprache auszugehen.
Natürlich ist es theoretisch möglich, dass wir uns rein zufällig in
dem Universum befinden, in dem sich organisches Leben durch Zufall
entwickelt hat. Wir können nicht beweisen, dass das Fine-Tuning
des Universums auf so etwas wie einen Plan schließen lässt, aber es
ist nicht vernünftig, nicht davon auszugehen. Auch wenn das Leben
rein theoretisch ohne einen Schöpfer hätte zustande kommen können
– wie sinnvoll ist es, zu leben, als ob dieser schier unglaublich
unwahrscheinliche Zufall wahr ist?
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