John Lennox : “Hat die Wissenschaft Gott begraben?”

„John Lennox ist Professor für Mathematik an der Universität Oxford. Er hat schon mehrmals öffentlich mit Richard Dawkins und Christopher Hitchens diskutiert, den weltweit führenden Vertretern des ‚neuen Atheismus’“ (Klappentext). Dieses Buch lässt sich als Fortführung der Diskussion auf schriftlichem Wege verstehen. Es ist eine Antwort auf Dawkins und dessen Gesinnungsgenossen. Aber welch eine Antwort! Sie demonstriert eine profunde Kenntnis verschiedenster Wissenschaften. Sie pflegt einen äußerst fairen Diskussionstil. Sie zeigt Schritt um Schritt auf, dass eine Argumentation, die das Universum und das Leben auf der Erde mithilfe darwinistischer Denkmuster von seinem Ursprung her erklären und verstehen will, scheitert. Sie scheitert an den anerkannten Ergebnissen der Wissenschaft auf der Höhe der Zeit.
Beispiel 1: Die wissenschaftlichen Erfolge im Blick auf die Erforschung vieler Mechanismen des Universums, die selbstverständlich ohne den Faktor „Gott“ zu beschreiben sind, verleitet die Vertreter des neuen Atheismus dazu, anzunehmen, so etwas wie „Gott“ als überflüssig und nicht-existent zu betrachten. Diese Folgerung bezeichnet Lennox philosophisch gesprochen als „Kategorienfehler“. Die Erforschung der Mechanismen eines Automobils, das von einem gewissen Herrn Ford entworfen wurde, darf nicht zu dem Schluss führen, Herr Ford als überflüssig und nicht-existent zu betrachten. Der Konstrukteur des Ganzen darf nicht verwechselt werden mit der Konstruktion selbst. Weil der Schöpfer strikt zu unterscheiden ist von der Schöpfung, ist mit der Beschreibung von Naturgesetzen weder die Frage nach der Urheberschaft noch die Frage nach der tatsächlichen Entstehung des Universums und des Lebens geklärt.
Beispiel 2: Mit dem angeführten Automobil-Konstrukteur-Gedankenexperiment ist bereits auch der oft gebrauchte Vorwurf entkräftet, der glaubende Denker würde in einer intellektuell unredlichen Weise überall dort einen „Lückenbüßer-Gott“ einführen, wo eine wissenschaftliche Erklärung fehlt. Wer nach Gott als Urheber des Ganzen fragt, denkt sich Gott keineswegs als „Lückenbüßer“, der als Erklärung für noch nicht verstandene Natur-Mechanismen dienen soll. Vielmehr hat gerade der Glaube, dass Gott ganz und gar über den Dingen steht, bei den ersten griechischen Naturwissenschaftlern der Antike für die Befreiung von dem Aberglauben an eine von Göttern erfüllte Natur und damit für den Beginn einer befreiten, reellen Forschungstätigkeit geführt. Umgekehrt stellt gerade der moderne Denkansatz, der der Materie und der Energie quasi schöpferische Kräfte zuspricht, in gewissem Sinne einen Rückfall in den Aberglauben an Naturgötter und Polytheismus dar.
Beispiel 3: Der methodologische Reduktionismus, der komplizierte Phänomene von einfachen Komponenten her zu erklären versucht, hat sich wissenschaftlich vielfach bewährt. Er darf aber nicht zu der Annahme verleiten, das funktionierende System von Makrokosmos und Mikrokosmos lasse sich auf ein paar mathematische Formeln reduzieren und sei damit wirklich verstanden und erklärt. Der Mathematiker Kurt Gödel zeigte 1931 mit seinem ersten Unvollständigkeitssatz, dass einige wahre Aussagen des in sich logischen Systems der Arithmetik nicht im Rahmen dieses Systems zu beweisen sind. Ausgerechnet an einer diesen wahren Aussagen hängt die Konsistenz des ganzen Systems; das besagt der zweite Unvollständigkeitssatz. So gewiss der reduktionistische Denkansatz zu sinnvollen Erklärungsmodellen führt, so wenig darf er außer acht lassen, dass eine Erklärungsebene, die einfache Komponenten beschreibt (z.B. die Druckfarbe auf der Buchseite), ergänzungsbedürftig ist durch eine höhere Erklärungsebene, die die Zuordnung der Komponenten verstehen lehrt (z.B. den Sinn des gedruckten Textes). Eben diese Ergänzungsbedürftigkeit wird von Dawkins übersehen oder verdrängt, wenn er das Universum als „ein Ansammlung von ständig sich bewegenden Atomen“ und die Menschen als „Maschinen zur Weitergabe der DNS“ beschreibt. Dieser ontologische Reduktionismus macht ein wirkliches Verstehen des menschlichen Fühlens, Wünschens und Wollens unmöglich und reduziert den Denkprozess selbst auf „ein absurdes Rattern feuernder Synapsen“. Das aber kann nicht sein, dass der Denker sein eigenes Denken nicht mehr ernst nimmt.
Beispiel 4: Die sogenannte Feinabstimmung des Universums, die dafür sorgt, dass Leben auf der Erde überhaupt möglich ist, illustriert Lennox beispielsweise durch die Entdeckung, dass die Energieniveaus von Helium- und Beryllium-Atomkernen auf ein Prozent genau austariert sein müssen, damit sich Kohlenstoff bilden kann, oder dass Abweichungen im Verhältnis von Kernkraft zur elektromagnetischen Kraft von 1 zu 1016 die Bildung von Sternen unmöglich machen würde. Der Mathematiker Roger Penrose beziffert die Zielgenauigkeit, mit der das Universum als funktionstüchtiges System konzipiert ist, mit der ungewöhnlichen Zahl „eins zu zehn hoch zehn hoch hundertdreiundzwanzig“. Diese Zahl beinhaltet mehr Nullen, als Protonen und Neutronen im Universum vorhanden sind. Die Vorstellung einer zufälligen Entstehung des Universums wird damit zur Farce. Um diese Vorstellung trotzdem aufrecht zu erhalten, greifen die Vertreter des neuen Atheismus zur Theorie vom Werden und Vergehen unzähliger anderer Universen. Innerhalb dieses rein fiktiven Szenarios soll das unwahrscheinliche Werden unseres Universums als wahrscheinlich erscheinen. Diese Utopie bezeichnet der Philosoph Richard Swinburne als „Gipfel der Irrationalität“.
Beispiel 5: Bis heute hat die wissenschaftliche Biologie zwar häufig mikroevolutionäre Prozesse beobachtet; so z.B. Bakterien, die eine Resistenz gegen Antibiotika entwickeln; oder die Veränderung der Schnabellänge von Finken auf den Galapagosinseln in trockenen und in regenreichen Jahren. Makroevolutionäre Prozesse hingegen, die zur Entstehung neuer Tierarten führen, konnten weder beobachtet noch im Labor erzeugt werden. Sie ließen sich auch bei der Erforschung der Fossilabfolge nicht nachweisen. Der Paläontologe Niles Eldregde beschreibt, wie er vergeblich versucht hat, langsam gerichtete Veränderungen im Sinne der Darwin’schen Theorie zu dokumentieren: „Beispiele, von denen wir alle seit Darwin dachten, es gibt sie, weil natürliche Selektion genau solche Erkennungszeichen hinterlassen würde… Stattdessen fand ich heraus, dass Arten, die einmal in der Fossilabfolge erscheinen, sich tendenziell überhaupt nicht viel verändern. Arten bleiben wie selbstverständlich hartnäckig und unerbittlich resistent gegen Veränderung – oft über Millionen von Jahren hinweg.“ Der Mathematiker Stanley Ulam, der 1966 am Wistar Institut in Philadelphia zusammen mit anderen Wissenschaftlern die Wahrscheinlichkeit einer allmählichen Evolution durch Mikromutationen zu bestimmten versuchte, kam zum Ergebnis, dass das Erdalter gar nicht genug Zeit für einen solch langsamen, komplizierten Prozess zur Verfügung stellt.
Beispiel 6: Jede lebende Zelle ist unvorstellbar komplex. Selbst eine Bakterienzelle, die weniger wiegt als ein Billionstel Gramm und die als die einfachste aller Zellen betrachtet wird, ist „eine wahre Miniaturfabrik mit tausenden brillant entworfenen Teilen einer komplizierten molekularen Maschinerie, die insgesamt aus hundert Milliarden Atomen besteht und damit weit komplizierter ist als jede von Menschen gefertigte Maschine“. Keine der in der Biosphäre existierenden Zellen kann als „primitiv“ oder als „Vorläufer“ einer anderen Struktur bezeichnet werden. Das Experiment Stanley Millers im Jahr 1952 (chemisches Gemisch und elektrische Entladungen) führte zwar zur spontanen Bildung von Aminosäuren. Doch schon für die Bildung eines kurzen Proteins werden hundert Aminosäuren in einer bestimmten Bindungsweise benötigt. Die Wahrscheinlichkeit für die zufällige Bildung eines solchen Proteins liegt bei etwa 1 zu 1060. Lennox bemerkt, dass die geringen Wahrscheinlichkeiten für die Selbst-Entstehung dieser Bausteine des Lebens den Wahrscheinlichkeits-Werten für die Feinabstimmung des Universums auffallend ähneln. Der Wissenschaftler Sir Francis Crick konstatiert: „Die Entstehung von Leben erscheint gegenwärtig fast wie ein Wunder… angesichts der zahlreichen Bedingungen, die erfüllt gewesen sein müssen, damit es in Gang kam.“
Beispiel 7: Die menschliche DNS lässt sich einer Computerfestplatte vergleichen, die eine Datenbank und das Programm zum Erzeugen eines genau festgelegten Produkts enthält. Sie umfasst 3,5 Milliarden „Buchstaben“ (durch vier chemische Stoffe definiertes Informations-Zeichen) und würde auf Papier gedruckt eine ganze Bibliothek füllen. Die spezifische Information, die präzise abgespeichert und abgelesen wird, macht das Genom „zu einem unmöglichen Objekt“, stellt der Molekularbiologe Paul Davies fest, „unerreichbar durch bekannte Gesetze und Zufall“. Trotzdem hält der Forscher an der Theorie fest, dass die Darwin’schen Evolutionsmotoren Variation und Selektion diesen Informationsreichtum und diese Funktionalität hervorgebracht hätten. Lennox weist darauf hin, dass dieses Festhalten nicht mit dem Forschungsergebnis und der Logik der Darlegungen von Davies übereinstimmt. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass lebende Zellen und damit das Leben überhaupt nur entstehen kann durch das Einbringen von Information. Wer dieses denknotwendige Ergebnis als Verlegenheitslösung kritisiert, weil eine Intelligenz zu postulieren ist, die sich möglicherweise als göttliche Intelligenz entpuppen könnte, sollte sich umgekehrt einmal überlegen, meint Lennox, wie intellektuell bequem es ist, trotz aller Forschungsergebnisse und gegen alle Logik zu behaupten, „die Evolution“ hätte dies geschaffen, „wenn man nicht die leiseste Ahnung hat, wie, oder wo man sich eine spekulative Geschichte ohne erwiesene Grundlage zusammengeschustert hat“.
Lennox kommt zu dem Fazit, „dass die Wissenschaft keineswegs Gott begraben hat. Denn die wissenschaftlichen Ergebnisse weisen auf seine Existenz hin, und das Unternehmen Wissenschaft als solches verdankt seine Kraft der Existenz Gottes.“ Nicht blinder Glaube, sondern rationales Denken führt den Autor dazu, statt geistloser Materie einen Schöpfer als Urheber des Universums zu betrachten.
Die Argumentationslinie von Professor Lennox ist an manchen Stellen nicht ganz leicht nachvollziehbar. Und zwar deshalb, weil sie mit dem Fachwissen der Mathematik, der Molekularbiologie oder auch der Philosophiegeschichte arbeitet. Doch gerade diese Art und Weise, fachkompetent zu argumentieren, überzeugt. Es ist genau das, was den eher leicht verständlichen und populären bis polemischen Argumenten von Richard Dawkins in seinem Werk „Der Gotteswahn“ abgeht.
Wenn die Sichtweise von Lennox so stimmt und so haltbar ist, müsste das tiefgreifende Auswirkungen auf die Theologie und auch den gesellschaftlichen Diskurs haben. gemeindenetzwerk.org/?p=4271#more-4271

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