Schönen Geburtstag Herr Darwin. Wir schenken ihnen 10 leichte Fragen zu ihrer Evolutionstheorie.

Heute würde Charles Darwin seinen 200. Geburtstag feiern, und noch immer zweifeln Menschen an seinen Erkenntnissen. Auch deshalb, weil ein paar Fragen offen blieben. Warum gibt es eigentlich Sex? Woher kommen die Blumen? Warum werden Menschen rot? Darauf weiß keiner eine überzeugende Antwort.
Darwin hat ohne Frage Großes geleistet. Alle Fragen des Lebens aber hat er nicht beantwortet
1. Warum gibt es Sex?
"Sex" sagt der Biologe Graham Bell, "ist die Königin der ungelösten Fragen". Warum ist Sexualität entstanden? Warum gibt es Liebe? Wozu zwei Geschlechter? Die Gene allein geben keine Antwort. Tatsächlich rechtfertigt der Aufwand eines zweiten, männlichen Geschlechtes den biologischen Nutzen eigentlich nicht. Die Evolutionsbiologen können es drehen und wenden wie sie wollen – unterm Strich kommen sie auf kein überzeugendes Ergebnis: Eine aus vier Weibchen mit jeweils zwei Eizellen bestehende Population könnte, wenn sich die Tiere asexuell vermehrten, acht Nachkommen zeugen. Zwei Weibchen und zwei Männchen hingegen könnten zusammen nur vier Sprösslinge zeugen. Ergebnis: Die asexuelle Vermehrung ist doppelt so schnell. Das nutzen viele Tiere, die Blattläuse, aber auch Eidechsen. Außerdem hat die eingeschlechtliche Fortpflanzung den Vorteil, dass die Erzeugerin sicher sein kann, ihr wertvolles Erbgut komplett auf die Nachkommen zu übertragen. "Sexualität ist eine wichtige Triebkraft der Evolution", schreibt der Oxford-Evolutionsbiologe Richard Dawkins, "aber vielleicht wäre sie verzichtbar gewesen."
2. Woher kommen die Blumen?
Darwin hat dieses Rätsel säuerlich als "the abominable mystery", das abscheuliche Geheimnis, zu den Akten gelegt. Die größte aller Pflanzengruppen ist plötzlich einfach da, zu Beginn der Kreidezeit – und von Anfang an sprießt sie in bunter Formenpracht, ohne dass jemals ansehnliche Übergangsexemplare zu irgendeiner denkbaren Ausgangsgruppe gefunden worden wären. Inzwischen gibt es einige Erklärungsansätze und viele Fossilien, "Darwin wäre hocherfreut", sagt der Paläobotaniker David Dilcher vom Florida Museum of Natural History. Sogar die Ur-Blume und die ältesten Pollenkörner alle Zeiten sind gefunden. Die schlechte Nachricht: Beide gehören ausgerechnet zu jenen Arten, die längst als abgeleitet galten.
3. Wie entstand das Leben?
"Die größte Lücke der Evolutionstheorie bleibt der Ursprung des Lebens an sich", schreibt Chris Wills, Professor für Biologie an der Universität von Kalifornien, San Diego, im "Newscientist". Wie einzellige Winzlinge aus unbelebter Chemie entstehen können ist ebenso unklar, wie der anschließende Schritt vom Einzeller zum Mehrzeller. Mehr als zwei Milliarden Jahre lang war die Erde von primitiven Wesen ohne Zellkern bevölkert. Aus diesen Prokaryoten müssen dann die ersten Einzeller mit einer komplexen Maschinerie entstanden sein. "Das geschah vermutlich, indem mehrere Bakterien sich zusammentaten", sagt der Evolutionsbiologe Eörs Szathmáry aus München – von Konkurrenzkampf keine Spur. Unklar ist auch: Wie ist das Erbgut entstanden? Inzwischen hat sich die Forschergemeinschaft auf die Urmutter allen Erbguts verständigt: Die Ribonukleinsäure, RNA. Aber das löst das Problem nicht, das so ähnlich funktioniert wie jenes von der Henne und dem Ei: "Ohne Gene gibt es keinen Organismus, aber Gene brauchen einen Organismus, um sich entfalten zu können", sagt Christian Kummer, Biologe und Philosophie-Professor in München.
4. Wer war der letzte gemeinsame Vorfahre von Mensch und Affe?
Wie sah der letzte unserer Blutsbrüder aus, wie lebte er? Und: "Welche evolutiven Prozesse haben uns dazu gebracht, uns zu trennen?", schreibt Chris Stringer, Paläontologe vom Natural History Museum in London im "Newscientist". "Es gibt Fossilien aus Afrika von vor fünf bis sieben Millionen Jahren, aber sie haben uns in dieser Frage nicht sonderlich weitergebracht."
5. Warum erröten Menschen?
Unter allen Primaten ist der Mensch der einzige, der in peinlichen Situationen, in der Pubertät oder beim Lügen durch rote Farbe im Gesicht auffällt. "Wo liegt da der Überlebensvorteil?", fragt Frans de Waal, Professor für Verhaltensbiologie von Primaten an der Emory Universität in Atlanta, Georgia. Erröten verhindert, dass wir hemmungslos manipulieren, tricksen, täuschen können. Erlebten unsere Vorfahren also einen Selektionsdruck in Richtung Moral Ehrlichkeit? "Vermutlich ja", sagt de Waal, "aber zu egoistischen Genen und Prinzip Eigennutz passt das nicht".
6. Warum zeichnet sich die Evolu-tion oft nicht in den Genen ab?
Charles Darwin
Der britische Naturforscher Charles Robert Darwin (1809-1882) brach mit seinem im Jahr 1859 veröffentlichten Werk "Über die Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl" mit der Schöpfungsbiologie. Beinahe wäre es gar nicht erschienen. Denn als Darwin das Buch vorlegte, riet ihm sein Verleger, lieber ein Buch über Tauben zu schreiben. Die Sorge des Kaufmanns war unberechtigt. Die Erstauflage von 1250 Exemplaren war noch am selben Tag vergriffen.
Vor sechs Millionen Jahren trennten sich die Wege von Schimpanse und Mensch. Der Mensch als Krone der Evolution? In keinem Säugetiererbgut finden sich so viele Anzeichen für positive Selektion – und damit auch Perfektion – wie bei uns. So der Stand der Forschung – bis vor etwa einem Jahr. Seitdem sieht die Forschung das anders, jedenfalls was die Weiterentwicklung durch Selektion betrifft. Evolutionsbiologen der University of Michigan haben insgesamt 14 000 Gene verglichen, die sowohl der Mensch als auch der Schimpanse in sich trägt. Verblüfft stellten die Forscher fest: Beim Affen haben sich 233 Gene perfektioniert. Beim Menschen sind es nur 154. Dass der Schimpanse weniger Erbgut-Müll mit sich trägt, könnte aber erklären, warum Affen von mancher Krankheit verschont ist. Nur wenige Menschenaffen bekommen Geschwüre, aber fast keiner stirbt an Krebs – beim Menschen ist es jeder Fünfte.
7. Warum bringt die Evolution auch Verlierer hervor?
Die Strumpfbandnatter hat ein Drogenproblem. Eigentlich hat sie reichlich zu fressen: Fische, Schnecken, Würmer, Ratten, Vögel. Aber sie mag am liebsten Molche – und zwar jene der Gattung Taricha. Das sind kleine Giftbomben, die das Nervengift Tetrodotoxin produzieren. Inzwischen sind die Strumpfbandnattern gegen das Molchgift resistent, aber nur bis zu einem gewissen Grad: Nach der Mahlzeit ist die Natter erst einmal vom Gift zugedröhnt, sie bewegt sich wie in Zeitlupe und wird so eine leichte Beute für jagende Vögel. Warum sich die Schlange ohne Not auf solche Abenteuer einlässt? Survival of the fittest? In diesem Fall ist das für Evolutionsbiologen ein Rätsel.
8. Warum denken Männer anders als Frauen?
Dass Männer anders sind als Frauen, weil die einen in der Steinzeit Mammuts jagten und die anderen den Eintopf kochten, ist heute mehr als Küchenpsychologie. Tatsächlich aber war die Gehirnentwicklung lange abgeschlossen, als Homo sapiens seinen Speer auf ein Mammut schleuderte. Und was ist mit den Gehirnen all jener Völker, die vom Fischen lebten? Wer war dabei, als in der Steinzeit die Rollen festgelegt wurden? Darwins Evolutionstheorie kann viele Eigenarten der menschlichen Natur nicht erklären. "Viele Details sind erschreckend unklar", schreibt Niles Eldredge, Paläontologe vom American Museum of Natural History, New York, "was fehlt ist der ökologische Kontext, in dem wir zu dem wurden was wir sind".
9. Wie entstand unser Gehirn?
Kann komplexes Denken durch natürliche Selektion entstehen? "Unser Gehirn hat es im Lauf der Evolution zu einer Meisterschaft gebracht, aus wenig Information rasch nützliche Schlüsse zu ziehen", sagt Eörs Szathmáry. "Dazu arbeitet es mit einer Vielzahl von Denkabkürzungen, die es ermöglichten, Ignoranz in Wissen zu verwandeln. Schwer vorstellbar, dass so ein Prozess durch Mutationen, Vervielfältigungen und Selektionen im Gehirn funktionieren kann", schreibt Szathmáry im "Newscientist", "neue Verknüpfungsmuster kommen meist auf anderen Ebenen hinzu. Andererseits hilft Darwins Dynamik unserem Körper mit neuen Krankheiten fertig zu werden. Warum also nicht auch mit neuen Denkproblemen?"
10. Darwin ohne Gene?
Gene sind nicht alles: Der britische Genetiker Steve Jones hat anhand einer U-Bahn-Fahrt durch London gezeigt, wie Wohnort und Lebenserwartung zusammenhängen: "Mit jedem Bahnhof Richtung Osten, also Richtung Armut, leben Männer wie Frauen ein Jahr kürzer". Das Erbgut kann das nicht erklären. "Als einziges Wesen können wir uns gegen die Tyrannei der Gene auflehnen", räumt der Oxforder Evolutionsbiologe Richard Dawkins ein. Wie aber konnte die Auslese der durchsetzungsfähigsten Gene eine entgegengesetzte Fähigkeit hervorbringen – einen ungehorsamen Organismus? aus welt.de Von Elke Bodderas

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