Was macht der Teufel, wenn in der Christenheit von ihm nicht mehr die Rede ist? Er geht in die Oper! In München spielt er sogar die Hauptrolle

Es ist merkwürdig: In vielen christlichen Gemeinden ist Sünde kaum noch ein Thema – es sei denn, es geht um Umwelt-, Verkehrs- oder politische Sünden. Stattdessen beschäftigt sich offenbar die „Welt“ mit Sünde: Für Deutschlands auflagenstärkstes Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ war es ein Titelthema im Februar. Jetzt ist die Sünde sogar Inhalt einer neuen Oper. Karsten Huhn war bei der Premiere am 22. Februar in München dabei. Was macht der Teufel, wenn in der Kirche von ihm nicht mehr die Rede ist? Er geht in die Oper! In dem Stück „Tragödie des Teufels“, das vergangene Woche in der Bayerischen Staatsoper in München eine bejubelte Premiere feierte, spielt er sogar die Hauptrolle – und das im Doppelgespann als Teufel und Teufelin. Es beruht auf dem klug in Szene gesetzten Werk „Die Tragödie des Menschen“ des ungarischen Dramatikers Imre Madách (1823-1864), das als der „ungarische Faust“ gilt.
Szene 1, Prolog im Himmel: Eine mächtige Treppe, die himmelwärts führt. Darauf kullern und kollern das Teufelspaar Lucifer und Lucy erdwärts. Der erste Absturz in der Geschichte, Ausschluss aus dem Himmel wegen Größenwahn und Amtsanmaßung. Adam und Eva, das erste Menschenpaar, spielen derweil im Paradiesgarten, nicht etwa nackt, sondern züchtig im geschlechtsneutralen Gummikostüm. „Wie schön ist es, zu leben“, jauchzt Eva. Doch mit dem schönen Leben ist es schnell vorbei, Eva wird von der Teufelin verführt, beißt in die verbotene Frucht, verschluckt sich, hustet, kotzt sich aus – zu spät. Es ist der erste Absturz der Menschheit, Ausschluss aus dem Paradies wegen groben Ungehorsams. Aus dem Orchestergraben blubbert, klirrt, scheppert und krächzt es; die Geigen pfeifen, das Klavier klirrt.
Der Teufel? Ein Großkotz in pinkfarbenen Jackett
Adam und Eva finden sich in der Wüste wieder, bibbernd, in Decken gehüllt. Eva dürstet. Ein fetter Glatzkopf sitzt da herum, mit einer Wasserflasche in der Hand. Eva bettelt ihn um Wasser an. „Küss mich“, fordert der Glatzkopf von Eva. Sie lehnt ab. Da schüttet sich der fiese Glatzkopf das Wasser übers nackte Haupt. Eva, verdurstend, beginnt ihn abzuschlecken. Der Glatzkopf packt Eva und legt sie sich wie einen Mantel auf sein Kreuz und schleppt sie ab. Eine minimalistische Szene, die nur andeutet und doch alles erzählt: Eva wird Sex-Sklavin eines Widerlings, ist Mitverursacherin des Sündenfalls und zugleich dessen erstes Opfer. Und der Teufel? Lungert herum, blickt von oben auf das Geschehen herab und kommentiert es verächtlich.Der Teufel – ein Großkotz in pinkfarbenen Jackett – bietet Adam einen Pakt an: Wenn er des Teufels Wunderpille einwirft, könne er sein wie Gott. Adam lässt sich darauf ein und sieht fortan die Welt mit des Teufels Augen. Eine wilde Zeitreise beginnt. In 100 Minuten wird sowohl das Leben Adams als auch das Leben der gesamten Menschheit durchmessen. Adam versucht sich als Pyramidenbauer und Weltenherrscher, als Unterdrücker der Elenden, als Kreuzritter, der fremden Völkern seinen Glauben aufzwingt. Und der Teufel? Flegelt sich in irgendeiner Bühnenecke – scheinbar immer Herr der Lage – und muss gar nichts tun. Der Mensch ist oft der beste „Teufel“.
Alles durcheinander, Adam verzweifelt
Adam eilt durch die Welt, ist im antiken Rom, im mittelalterlichen Byzanz und im modernen Bagdad. Er ist dabei, wenn Pest und Kriege ausbrechen, wenn gesoffen, gefoltert und gebrandschatzt wird. Überall in der Geschichte ist der Name Gottes in Blut geschrieben, die Geigen quietschen. Irgendwann singt Adam die Frage: „Mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ Und der Teufel? Steht schweißfrei da und amüsiert sich über das menschliche Treiben. Alles durcheinander, Adam verzweifelt.
Der Teufel lacht sein diabolisches Lachen
Noch so eine geniale Szene, diesmal in der Zukunft liegend: Ein Geschäft, in dem sich der Mensch seine Identität kaufen kann. An eine Maschine angeschlossen, wird man zu dem, der man sein will. Und was wünscht sich die Menschheit so? Der eine will ein Baby mit Schnuller sein, der nächste Kaiser Nero, der täglich Rom in Brand steckt, der dritte ein Beamter, der in seinem Keller perversen Lüsten nachgeht. Eine wahre Höllenmaschine! Und der Teufel? Feiert den Unglauben der Menschheit und lacht, na klar, sein diabolisches Lachen. Adam ist inzwischen ein Halbstarker mit Lederjacke und Motorrad. Eva stirbt, Adam hält sie im Arm und singt: „Der Sünde Sold ist der Tod“. Adam hat genug von dieser Welt, will ihr entfliehen. Wie Terminator rast er, Eva quer auf dem Rücksitz liegend, von den Teufeln verfolgt, die Himmelsleiter empor. Showdown auf dem Dach der Welt.
Was folgt ist ein apokalyptischer Albtraum: Adam fiebert, er wird die Teufel nicht los, er will sie kreuzigen, wenn es sein muss mit bloßen Händen. Vergeblich. Adam verzweifelt. Er will eine zweite Chance, will Frieden, erfleht von Lucifer Erlösung – und bekommt sie natürlich nicht. Das Projekt Adam ist gescheitert. Adam sehnt sich nach dem Tod. Mit ausgebreiteten Armen steht er da, bereit, sich von der Klippe zu stürzen.
Der Alptraum geht weiter: Eva teilt Adam mit, dass sie schwanger sei. Adam macht einen Schritt zurück, fordert die Abtreibung. „Kein Mensch darf mehr entstehen“, singt er. Es klingt wie: In diese kaputte Welt kann man doch keine Kinder setzen! Lucy, die Teufelin, fordert zum Kindsmord auf: „Ohne Sohn ist Gott nichts“, singt sie Adam ins Ohr. Da ersticht Adam seine Frau. Mit Lucy, der teuflischen Gefährtin, geht er eine neue Verbindung ein.
Ein teuflisches Werk
Und der Teufel? Ist am Ende der Gehörnte, verraten von Adam und Lucy. Allein steht er am Ende da. Das Publikum entlässt er mit einer Frage: „Wenn die Liebe währet ewiglich, warum das Böse nicht?“
Was, schon ist das Stück zu Ende? An diesem Abend hat sich die Zeit beschleunigt. Zwar ist „Die Tragödie des Teufels“ ein Stück ohne Erlösung. Doch hat diese Oper alles, was ein großes Stück braucht: Handlung, Spannung, überraschende Wendungen und Humor. Alle großen Fragen werden hier verhandelt: Wie kommt das Böse in die Welt? Wie kann man angesichts des Leides in der Welt noch an Gott glauben? Vor allem: Hier wird Sünde gezeigt als das, was sie ist: nicht bloß als Sahnetorte oder als überfahrene rote Ampel, sondern als teuflisches Werk, als Verhängnis, das von Menschenhand nicht wieder aus der Welt zu kriegen ist. Wer wissen will, was es mit dem Teufel auf sich hat, sollte seinen nächsten Gemeindeausflug nach München, in die Bayerische Staatsoper, machen.Quelle: idea.de

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